Ursula Kiermeier: Wenn man Ihre Plakate in der Stadt sieht oder sich Ihre Spots auf youtube anschaut, sieht man, Ihnen beiden sitzt der Schalk im Nacken und in den Augen. Aber wie sind Sie zum Krimischreiben gekommen? Das ist auf den ersten Blick nicht ganz so naheliegend.
Volker Klüpfel: Wir haben uns das nicht ausgesucht. Aus einer Laune heraus wollten wir immer schon zusammen ein Buch schreiben. Das hätten wir aber wahrscheinlich nicht gemacht, wenn nicht das Angebot eines Verlages gekommen wäre. Der wollte einen Krimi, der im Allgäu spielt. Ich kannte den Verleger. Er hat mich gefragt, ob ich jemand wüsste, der so was schreiben könnte, da habe ich gedacht, das können wir es auch selbst probieren. So kamen wir zum Krimi.
Hatten Sie vorher viele Krimis gelesen, Filme gesehen, waren Sie schon vorher Fans des Genres?
Michael Kobr Ja, wir waren beide Krimifans und hatten die Klassiker natürlich gelesen. Das Buchprojekt war eine Auftragsarbeit und tatsächlich großes Glück.
Einer meiner Lieblinge unter Ihren Romanen ist Rauhnacht. Dort finden sich sehr viele Anspielungen auf andere Krimis, auch auf den Spielfilm Eine Leiche zum Dessert[1]. Doch Kluftinger kennt den Film nicht, auch sonst kennt ihn niemand. Im Krimi selbst gehen Ihre Anspielungen ins Leere. Wenn Sie mit Ihrem Publikum Kontakt haben, verstehen die Leute alle Ihre Anspielungen und alle Hintergründe?
VK: Überhaupt keine, habe ich so das Gefühl. Wir haben oft so viele Sachen drin, die nie entdeckt werden, worüber sich nie jemand Gedanken macht, wahrscheinlich, weil die einfach denken, da steckt bei uns nichts dahinter. Das ist nur eine normale Geschichte, mehr können die nicht. Daher sucht man nicht danach, deswegen ist das bisher immer untergegangen.
Das ist aber schade, denn das macht für mich Ihre Krimis aus, das Spiel mit der Konvention, mit der Tradition, bei Rauhnacht mit Agatha Christie, Columbo.
Volker Klüpfel: Schön, dass Sie es wenigstens erkannt haben. Das zeigt mir doch, dass es anscheinend doch ein paar Leute gibt, die das mitkriegen.
Michael Kobr: Das ist für uns auch wahnsinnig interessant: Wir hatten vorher schon ein Radio-Interview, und jetzt das Interview mit Ihnen, die laufen ganz anders ab als Interviews in Deutschland. Interviews in Deutschland wollen lustige Geschichten übers Allgäu hören und wie wir zusammen ein Buch schreiben, und Sie erkennen alle die Konzepte, die wir in die Bücher gepackt haben, und in Deutschland erkennt sie niemand.
Das glaube ich ehrlich gesagt nicht.
Michael Kobr: Vielleicht sollten wir unsere Bücher immer übersetzen lassen, oder haben Sie es im Original gelesen?
Ja natürlich. Wenn wir schon bei den Übersetzungen sind: Was mich etwas stört, ist die Tatsache, dass ihr polnischer Verlag mit Rauhnacht angefangen, also die ersten vier Romane erst einmal weggelassen hat. Mir fehlt vor allem der Roman Schutzpatron, der mit der Tradition des Actionthrillers um einen Meisterdieb und seine Bande spielt, die sich durch Lichtschranken schlängeln muss. Ein Spiel mit wunderbaren Klassikern.[2] Warum verzichtet Ihr polnischer Verlag darauf?
Volker Klüpfel: Wir verstehen die Reihenfolge selber nicht. Wir wussten bis vor zwei Tagen nicht einmal, dass Herzblut jetzt hier herauskommt. Auch bei den Verfilmungen unserer Bücher gab es eine völlig absurde Reihenfolge. Die haben mit Erntedank angefangen, dann als zweites unser erstes Buch verfilmt, Milchgeld, dann Seegrund. Keine Ahnung, ich verstehe es auch nicht.
In einem Interview beschweren Sie sich darüber, dass sich Ihre Bücher in Deutschland blendend verkaufen und hier Polen praktisch gar nicht. Ist das Echo in Polen immer noch so gering oder hat sich das mittlerweile gebessert?
Volker Klüpfel: Polen muss ein Markt sein, der zumindest funktioniert. Immerhin erscheint jetzt das dritte Buch, während beispielsweise in Tschechien, wo wir auch mal übersetzt worden sind, das nach der ersten Übersetzung wieder eingestellt wurde. Ich habe zwar keine Ahnung, wie viele Bücher verkauft werden, aber offenbar genug für den Verlag, um weiterzumachen. Also kann man sich gar nicht beklagen.
Michael Kobr: Irgendwann hat uns im Zuge der Übersetzung unsere Übersetzerin gesagt, die Südpolen seien die Allgäuer in Polen.
Ja, ja, es ist gut, dass Sie erst in Südpolen sind und erst dann ins kalte Nordpolen fahren. Morgen in Warschau erwartet Sie dann sozusagen Dombrowski-Land[3], Politik und Wirtschaft, alles schnell und hektisch. Apropos Allgäu: In Ihren Büchern kommt sehr viel Dialekt vor. Meistens ziehe ich die Hörbuchfassung vor, weil Sie Ihre Bücher so fantastisch vortragen. Das lebt vom Dialekt und schafft ein Übersetzungsproblem, wenn man den Allgäuer Dialekt nicht in einen Goralendialekt übertragen will. Oder wäre Ihnen das Recht, dass man den einen Dialekt durch den andern ersetzt?
Volker Klüpfel: Das kann nur der Übersetzer entscheiden, weil Dialekte unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Ländern spielen. Wichtig wäre, dass man versucht, eine Alltagssprache für die Figuren zu finden, nicht so was Gestelztes, so was Hochdeutsches sozusagen, aber ob das funktioniert, Dialekt zu übersetzen? Ich finde es immer grausam, wenn ich einen Film auf Deutsch anschaue und weiß, da reden Amerikaner Texanisch, dann redet der plötzlich Bayrisch.
Sie machen Ihren armen Klufti sehr lächerlich. Es gibt viele Leser, die sagen: Nein, bei Herzblut habe ich mich jetzt so fremdschämen müssen, das war mir zu viel. In Grimmbart haben Sie Kluftinger wieder ernster genommen. Wie halten Sie die Waage zwischen den komischen Elementen bei Kluftinger und seinem kriminalistisch-mystischen Spürsinn?
Michael Kobr Das ist ein schmaler Grat, auf dem man unterwegs ist. Man muss aufpassen, dass nicht der Gaul mit einem durchgeht, was die komödiantischen Szenen angeht, dass man nicht in Slapstick abgleitet. Hier sind unsere Leser für uns ein Korrektiv. Wir nehmen das ernst, wir wollen diese ganze Figur nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Deswegen jetzt auch die Gegenbewegung. Aber es macht natürlich Spaß: Wenn man im Fabulieren drin ist, was das Private angeht, dann jagt man ihn durch jedes Fettnäpfchen.
Volker Klüpfel Das wird noch befeuert durch unsere ausgiebige Bühnentätigkeit, bei der natürlich die komödiantischen Szenen im Vordergrund stehen. Das treibt uns zusätzlich in diese Richtung.
Schicken Sie Kluftinger irgendwann nach Japan?
Volker Klüpfel Wir würden das schon gerne machen, uns ist aber klar, dass wir dann aber erst mal selbst hinfahren müssten.
Sie waren noch nicht da?
Volker Klüpfel/Michael Kobr: Nee.
Hätten Sie denn Lust hinzufahren?
Volker Klüpfel/Michael Kobr: Doch schon.
Lust und Zeit? Planen Sie das schon für die nächste Zeit?
Volker Klüpfel: Das wäre jetzt zu viel gesagt. Aber wir haben es vor. Das wäre nicht unbedingt ein Buch in der Kluftinger-Reihe. Man müsste das extra machen, weil es schon extrem aus dem herausfällt, was man bisher kennt. Wir haben schon bei Rauhnacht, was auch ein bissl rausfällt, Probleme gehabt mit vielen Leuten, die die gewohnte Gegend, das gewohnte Personal vermisst haben.
Da gab es ein negatives Echo?
Volker Klüpfel: Es war sehr geteilt. Das war das Buch, an dem sich die Geister am meisten geschieden haben. Manche fanden es ganz toll, manche ganz schrecklich. Ja: Wir würden gerne nach Japan fahren, vor allem: Wenn wir das beruflich machen, dann können wir es von der Steuer absetzen.
Michael Kobr: Das hängt von der Veröffentlichung einer japanischen Übersetzung ab. Vielleicht lässt sich das finden, wir müssen mal Kontakt mit einem japanischen Verlag aufnehmen.
Sie greifen in Ihren Krimis sehr ernste Themen auf. In Herzblut, das in Polen gerade erschienen ist, geht es um Organtransplantationen, um Schiebungen, darum, wer die Organe bekommt und wer leer ausgeht. Ein halbes Jahr nach Ihrem Roman Herzblut ist der Roman Die Lebenden und die Toten von Nele Neuhaus zum selben Thema erschienen. Der Neuhaus-Roman hatte ein paar Pointen, bei denen ich dachte, das ist doch bei Kluftinger geklaut. Was halten Sie von der Konkurrenz, lesen Sie sie?
Volker Klüpfel schüttelt den Kopf
Überhaupt nicht?
Volker Klüpfel Nee. Wir verfolgen den Markt. Aber wir haben ganz früh aufgehört das, was man vielleicht als Konkurrenz sehen könnte, zu lesen, weil wir festgestellt haben, dass man sofort sagt, oh, das können wir nicht mehr machen, das Thema ist verbrannt, der Witz ist gemacht. Ich will da frei sein. Ich will meine Sache machen, ohne links und rechts zu schauen. Es gibt genug andere Krimis, die man lesen kann, man muss nicht die direkten Kontrahenten lesen. Ich empfinde sie auch nicht unbedingt als Konkurrenz. Jeder hat sein eigenes Publikum. Manchmal überschneidet es sich auch.
Michael Kobr Es würde einen tatsächlich von vornherein einschränken, wenn man die deutschen Krimis lesen würde. Natürlich liest man die Bücher von Bekannten, aber das war es auch, das muss reichen.
Es ist gerade Mode, Regionalkrimis zu schreiben. Ihre fallen positiv nach oben raus. Die anderen sind teilweise miserabel geschrieben. Sie sind auch die einzigen Autoren von Regionalkrimis, die bei Dennis Scheck[4] Gnade finden. Alle anderen zerreißt er gnadenlos.
Volker Klüpfel Als wir das erste Mal auf der Liste auftauchten, sind wir auch weggeworfen worden. Das weiß ich noch. Ich habe ihm damals einen Brief geschrieben, dass ich trotzdem seine Sendung toll finde, ich finde die geil, ob er unsere Bücher wegschmeißt oder nicht. Das fand er wiederum bemerkenswert, weil er oft von Autoren ganz andere Briefe bekommt. Er hat dann eine Flasche Schampus rüberwachsen lassen und attestiert uns eine Steigerung, und vielleicht gab es die ja wirklich, im Laufe der Bücher.
Was erwarten Sie von Ihrer Polenreise, was haben Sie schon gesehen? Ich weiß, Sie sehen nichts, sie sehen nur den Bahnhof, das Goethe-Institut, und ein bisschen sind Sie durch die Stadt gelaufen.
Michael Kobr: Eine Stunde Freizeit hatten wir, um uns zumindest das Zentrum anzuschauen. Das ist ja wirklich wahnsinnig schön, wahnsinnig belebt, allein die Gebäude und außen herum der Park, unglaublich schön.
Sie haben in einem Interview gesagt, als Stadt reiche Ihnen Kempten. Was drüber raus geht, ist zu groß.
Volker Klüpfel: Das muss er gewesen sein. Ich lebe in einer größeren Stadt.
Michael Kobr: Zum Leben tatsächlich. Ich wohne bewusst noch in der Provinz und genieße es, weil es alles gibt, was man braucht. Ich genieße es auch zu reisen, es ist nicht weit von München weg. Das ist gut. Aber am Abend dorthin zurückzukehren, wo man die Bürgersteige hochklappt. Ich kann in der Stadt überall mit dem Fahrrad hinfahren. Die Kinder können zu Fuß in den Instrumentalunterricht gehen, das genieße ich sehr.
Kempten also als familienfreundliche Stadt (an Volker Klüpfel) Und Sie leben in einer größeren Stadt?
Volker Klüpfel: Ja, aber ich ziehe jetzt zurück ins Allgäu
Ein reuiger Sünder?
Volker Klüpfel Jawohl. Die Lebensqualität bei uns im Allgäu ist schon relativ hoch. Wir haben das Privileg, dass wir viel rauskommen, wir sind in vielen großen Städten unterwegs, können das mitnehmen und dann auch wieder die Ruhe daheim genießen. Das ist eine ideale Kombination.
In Grimmbart gibt es auch ein polnisches Motiv, ganz am Ende, bei der Lösung, die natürlich nicht verraten werden soll. Welchen Kontakt haben Sie mit Polen, wie sehen Sie das Land?
Michael Kobr: Eigentlich weiß ich viel zu wenig darüber, auch dadurch dass es sich von uns aus als Reiseland nicht so anbietet wie aus anderen Gegenden in Deutschland. Ich habe tschechische Wurzeln, war aber auch noch nie dort. Echt schade, was man hier verpasst, denn das ist wirklich faszinierend (deutet auf den Krakauer Marktplatz vor dem Goethe-Institut)
Ja, eine sehr alte, wunderschöne Stadt, die zum Glück im Krieg nicht zerstört worden ist, Im Innenstadtkern haben wir Architektur aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert bis hin zum Jugendstil durch, alles natürlich gewachsen. Was sich außerhalb befindet, sehen Sie wahrscheinlich nicht.
Volker Klüpfel: Morgen haben wir mehr Zeit, in Warschau. Aber viel wird das auch nicht sein, das ist ein ganz kurzer erster Eindruck, der zu einer Rückkehr mit mehr Zeit animiert.
Michael Kobr: Was ich an den polnischstämmigen Bekannten im Umfeld wahrnehme, ist, dass sie sich sehr schnell in Deutschland etablieren, natürlich auch assimilieren und offen sind, etwas zu erreichen. In der Bank hatte ich eine Kollegin, die ein halbes Jahr, nachdem sie nach Deutschland gekommen war, schon an der Kasse im Kundenkontakt angefangen und wahnsinnige sprachliche Fähigkeiten entwickelt hat. Nach zwei Jahren hatten sie ihr Einfamilienhaus. Das fällt sehr auf.
Was den Blick aufs Land angeht: Wenn man in Deutschland unseren Aufschwung Ost ansieht, ist es faszinierend zu sehen. wie spürbar der Aufschwung hier in Polen ist, ein wahnsinnig dynamisches Land, aber ohne den großen Zwillingsbruder im Rücken. Ich finde es faszinierend, was in der kurzen Zeit seit der Wende entstanden ist, viel faszinierender noch als in Ostdeutschland, weil es aus Eigendynamik entsteht.
Ja. Darauf sind die Polen nicht stolz genug.
Michael Kobr Ja, und auch nicht selbstbewusst genug. Es ist ein aufstrebendes, faszinierendes Land.
Vielen Dank für das Gespräch.
[1] Zabity na śmierć z roku 1976.
[2] In ihrem Roman Schutzpatron lassen Volker Klüpfel und Michael Kobr einen Allgäuer Simon Templar (The Saint/ Der Heillige/ Swiety) als Schutzpatron einer gewieften Diebesbande gegen Kluftinger antreten.
[3] Keine Anspielung auf die polnische Hymne, sondern auf Kluftingers neue Chefin Birte Dombrowski, die aus Hannover stammt und im achten Kluftinger-Roman das Amt des Polizeipräsidenten vom Niederbayern Lodenbacher übernimmt. Sie strahlt eine kühle Eleganz aus, die Kluftingers inneres Gleichgewicht ins Wanken bringt.
[4] Der gegenwärtig bedeutendste deutsche Literaturkritiker moderiert die Fernsehsendung Druckfrisch, in der er die aktuelle deutsche Bestsellerliste heiter süffisant, aber auch gnadenlos kritisch durchgeht und kommentiert. Die für gut befundenen Bücher werden auf einen Lesestapel gelegt, die verrissenen Bücher werden „verworfen“ und landen auf einem Förderband hinab ins Nichts. Druckfrisch ist heute die einflussreichste Fernsehsendung über literarische Neuerscheinungen in Deutschland.