WYDAWCA: STOWARZYSZENIE WILLA DECJUSZA & INSTYTUT KULTURY WILLA DECJUSZA
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Gabeln

Im Zimmer gegenüber, einen Stock unter ihrem. Sie beobachtet, wie sie aus der Dusche kommen. Erst die Frau, dann er. Beide haben die Gabeln. Gabelförmige Körperpartien auf Brusthöhe, rechts. Wie sie selbst. Sie selbst hat das auch.

Der Raum zwischen dem Spiegel und ihr. Wie sie sich an diesem Tag vor dem Spiegel dabei entdeckt: eine Hand, die den Raum vor dem Spiegel mit Linien durchkreuzt. In die Luft kritzelt. Doch was macht die andere Hand? So fängt es an: wie ein Schatten, der eingehängt wird, auf eine Wand fällt. Im Zimmer gegenüber beugt er sich über sie. Das Handtuch, das er sich über die Hüften geknotet hat, gleitet ab. Die gabelförmigen Teile stehen gegeneinander, klacken leicht zusammen. Stimmen die Ladungen, ziehen sie sich an.

Zwei dünne Linien am Rand ihres Blickes: das abgestoßene Holz des Schrankes, das den Spiegel umschließt. Was machen die Finger ihrer anderen Hand? Sie hat sie das Glas abtasten sehen. Mit gespreizten Beinen sitzt sie vorm Spiegel, rechts am Fenster. Ihr Zimmer ist klein. Sie trägt einen karierten Rock, sieht, wie die Finger sich unter dem Stoff bewegen, bis sie verschwunden sind. Nur der Handrücken wölbt jetzt die Karos, die Hand liegt leicht zuckend auf. Was die Finger tun, fühlt sie nur noch in den Fingern. Die Frau gegenüber liegt auf dem Bauch, so dass sie ihre Gabel gut sehen kann. Filigran wächst sie aus dem unteren Rippenbogen. Am äußersten linken Zinken ist der Arm eingehakt. Die Zinken, silbern, leicht gebogen, glänzen im Licht. Der Mann beugt sich darüber. Seine Rückenmuskeln, wendig wie Fische, gleiten unter der Haut. Ihre eigene Hand bewegt sich im Takt – sie kommt, mit ihm. 

Niemand erfährt davon, nie hat jemand etwas über die Gabeln gesagt. Die Weide im Hof steht schief, ein paar Äste erreichen das Fenster. Alles wird in kleine und immer kleinere Abschnitte geteilt. Sie hat die gabelförmigen Körperteile, die sie noch immer leicht kommen lassen oder bewirken, dass ihr Körper leicht kommt.

Das funktioniert sowohl mit Männern, die ebenfalls die gabelförmigen Teile an den Körperseiten haben, als auch mit solchen, die sie nicht haben. Es kann sein, dass sich die Gabeln bei ihnen später noch ausbilden. Wenn Zeit vergeht. Für sie zählt, was jetzt ist. Den Gong hört sie deutlich, das Abendbrot wird gleich gebracht. Auch es scheint von Tag zu Tag kleiner zu werden.

Mit dem einen, der nichts Gabelförmiges an sich hat, kommt sie nicht sofort. Er wohnt am Ende ihres Flurs. Sie vergleicht ihn mit dem, den sie bei der anderen Frau sieht. Stellt sich seinen nackten, kauernden Körper in der Ecke ihres Bettes vor. Schweiß sammelt sich unter ihren Brüsten.

Die drei Zinken der Gabel sind bei den einen silbern, bei anderen schwarz. Sie hat sie bei sich von Anfang an erkannt. Als sie dreizehn war, sah sie zum ersten Mal ein Paar nackt zusammen. Er stieg aus der Dusche, die Frau erwartete ihn auf dem Bett. Bei beiden entdeckte sie zwischen den naturhellen und den sonnengebräunten Körperstellen auch die Gabeln und wie sie ineinandergreifen.

Gabeln, von Kleidern bedeckt, im Sommer aber auch frei. Ihre Erregung hängt davon ab, dass Gabelpartien sichtbar oder zumindest vorstellbar sind. Auch wenn die Frau, die sie unten auf der Straße beobachtet, sich in eine Decke wickelt. Es könnte sein, dass sie eine Zeit lang mit einem Kinderwagen dort stand. Auf der schattigen Seite. Was bei ihr selbst auch so gewesen sein mag, vielleicht aber auch nicht.

Um ans Meer zu gehen, zieht sie den Strandhautsuit über, der auf der bloßen Haut getragen und nur mit sehr dünnen Nylonschnüren, die nichts verdecken, am Körper befestigt wird. Er sieht aus wie nackte Haut. Sie ist jung, sie ist fest.

Noch immer entsteht Erregung. Noch immer entsteht Erregung aus Verzögerung. Aus dem Gefühl, etwas zu versäumen. Etwa die Bahn zum Strand. Das ist noch immer möglich. Sie presst die Beine zusammen. Auf dem Flur steht ein leerer, verschmierter Teller. Auch draußen ist alles aufgegessen, der Hof leer und die Weide schief wie seit dem Sturm vor Jahrzehnten. Die Bahn wird abgefahren sein. Sie geht los. Die Gabelzinken bilden Gleise im Körper, die man entlanglaufen kann, um etwas zu erreichen, von dem man nicht weiß, was es ist. Weil sie das bei dem anderen Paar gesehen hat, kommt es ihr besonders leicht, dort, im Sand. Ihre neue Haut reißt nicht, der Schweiß unter ihren Brüsten ist vertraut.

Später sieht sie mehrere Männer am Strand. Es kann noch derselbe Tag sein oder auch länger gedauert haben. Auch die Männer tragen, ganz wie der aus der Wohnung schräg unter ihr, die Gabeln. Als sie den Auslöser betätigt, dreht einer sich kurz um. In dünnen weißen Schleiern zieht das Meer sich selbst den Strand hinauf. Ein Vogel singt ein leidenschaftliches Lied. Dann verstummt er. Es ist heiß. Fünf Männer stehen in Badehosen am Strand, einer hält vorsichtig den Fuß ins Wasser. Mit Silber übersprüht hockt der Vogel später hinter der Düne.

Dort liegt auch eine Gruppe Frauen. Sie kommen miteinander, übrigens ohne, dass eine mit Gabeln dabei wäre. Niemand wird schwanger. Wie erleichternd das ist. Wolken haben sich vor die Sonne geschoben, einige Felsen werden schwarz. Auch eine Gruppe von Männern kommt miteinander. Aber es kommen auch Frauen mit Männern und an anderen Orten – Wellen laufen über den Sand – gibt es sicherlich Frauen wie sie, die die Gabeln von Anfang an haben.

Es kann sein, dass sie alle ständig am Strand auf- und abgehen. Verschwinden, wiederkommen, verschwinden, wiederkommen.

Im Kino sitzt einer neben ihr, seine unteren Teile nackt. Sie sieht nicht, ob er die Gabel hat oder nicht, was seine Attraktivität nicht vermindert. Sie kommt neben ihm im Sessel mit der eigenen Hand, ganz leicht.

Was damit zusammenhängt, dass sie das Gefühl kennt, wenn eine Zunge sich in die Rillen einer Gabel presst. Als sie aus dem Kino tritt liegt das in verschiedene Wohnheime unterteilte, verlassene Areal in prallem Sonnenlicht. Eine Gruppe von Männern steht auf dem am weitesten ins Meer hinausführenden Steg. Einige springen ins Wasser, die meisten steigen die Leiter hinab. Sie sind keine Rentner, zugleich aber doch in ihrem Alter. Beides zugleich.

Nach dem Einkauf, den sie pro forma erledigt, denn das Essen wird gebracht, geht sie quer über den sandigen Hof, in dessen Mitte das meerblaue Bassin installiert worden ist. Als das Tor hinter ihr zuschlägt, steht die Weide schief. Sie trägt die Haare locker nach hinten gekämmt. Mehrmals am Tag geht sie hier aus und ein, mehrmals am Tag kämmt sie sich, steigt die Treppe hinauf.

Hitze in den Ecken ihres Zimmers, aus allen Ritzen, über dem Bett. Noch eine Stunde bis zum Abendbrot. Sie holt die bunte Schachtel hervor. Vorm Fenster flitzt ein Vogel in einer Windfurche dahin, wendet, dreht. Gegen den Wind fliegt er so schnell wie zuvor. Sie dreht das Foto aus der Schachtel in der Hand. Seine vordere Kante schneidet Spalten in die Hitze, die Gabeln der Fotografierten stechen hervor. Am Straßenrand steht ein Kinderwagen, zwischen eine Werbesäule und Mülltüten geschoben. Das schlafende Baby, gewickelt in den Blumenkohl der Decken, rollte beinahe über die Bordsteinkante, als die Mutter die Kamera aus der Handtasche kramte. Auf dem Bild sind die Wangen des Kindes gerötet, dort, im Schatten der hohen Häuser. Die Mutter hatte die schattige Seite der Straße gewählt. Die anderen stehen im hellen Mittagslicht, sie auf der schattigen Seite der Straße. Die sie gewählt hatte oder gewählt hätte, solange sie dachte, es sei möglich zu wählen.

Es ist lange her, es ist alles zugleich. In der Wohnung schräg unter ihr erscheint ein anderes, miteinander verknotetes Paar. Kurz sieht sie die beiden von vorn. Die Frau hat nichts Gabelförmiges an sich, der Mann umso mehr. Er ist in ihrem Alter, sein Körper gefällt ihr. Das erinnert sie an die Männer, die über die Leiter ins Meer stiegen oder sprangen, was ihre Attraktivität weder vermehrte noch verminderte. Manche von ihnen hatten die Gabeln, andere nicht. Der Mann spürt ihren Blick. Er ist jung und glatt, so alt wie sie. Als er sich auf die Frau legt, sieht er zu ihr hinüber. Leicht kommt er ein zweites Mal. Die Frau unter ihm ist überrascht und kommt heftig, schreit aber nicht.

Der andere, dessen Gabel nicht erkennbar ist, kommt nicht immer mit ihr, sowenig wie sie mit ihm. Da das an diesem Ort zu erwarten ist, macht sich niemand darüber Gedanken. Das Linoleum im Flur blinkt frisch geputzt, als sie ihm die Tür öffnet. Sie hat den Anzug vom Strand nicht abgelegt, so dass sie nackt aussieht. Ihre Hände sind glatt, und ihn stört nicht, dass sie eine Ganzkörperhaut trägt. Sie ist cremig und weich. Diesmal kommt er sofort. Dass sie ihn nicht ganz in sich eindringen lässt, scheint er nicht zu bemerken, denn er sagt nichts. Eben so wenig sagt er etwas zu der Gabel, die der Anzug nicht verbirgt. Als sie neben ihm liegt, denkt sie an das Kind auf dem Foto. Ob sie heute noch Besuch von ihm bekommt, weiß sie nicht, weil sie sich, wie sie da liegt, nicht ganz sicher ist, ob sie es schon hatte oder noch bekommen wird. Als sie aufwacht, ist sie allein.

In dem Zimmer gegenüber links geht das Licht an. Sie sieht ein weiteres Paar und hört den Gong. Die Frau sitzt auf dem Bett, der Mann ist in weiß gekleidet. Sie vermutet, dass die Frau schöne gabelförmige Teile hat, doch da im Augenblick nur ihr Gesicht und ihre Hände nackt sind, bleibt das unentschieden. Der Mann in dem Kittel füttert die Frau. Der andere, dessen einer Körperteil eine silbern geschwungene Gabel ist und der auch in der Gruppe der Schwimmer war, steht unten im Hof und wartet.

Wenn jemand kommt, sieht man ihn auf sich zugehen. Das ist vom Ankunftsort gedacht. Daher benutzen sie in dem Haus das Wort nur noch in seinem zweiten, sie sagen: eigentlichen Sinn. Dann spielt es in der Gegenwart. So steht sie vor der Tür, und lässt ihn, mit dem sie leicht kommen wird, herein, weil sie daran denkt, wie sie einen wie ihn aus der Dusche steigen und später einen wie ihn ins Wasser springen sah, etwa in ihrem Alter.

Als sie auf den Auslöser drückt: ein Halbschatten, zufällig, eine schwimmende Bewegung. Oder, vielleicht, die Andeutung eines solchen Schattens. Die Andeutung eines Körpers, in der Tür. Die eine Frau auf der sonnigen Seite, die andere nicht.

Sie sitzt in der Bahn. Das Sitzpolster klebt an ihren nackten Schenkeln. Die Baumreihen vorn und hinten bewegen sich unterschiedlich schnell. Das ist normal. Abgemähte Felder, Einkaufszentren, Silagen. Ihr Kopf schwingt im Rhythmus der Schwellen hin und her.

Der, mit dem sie leicht kommt und der so alt ist wie sie (er war auch bei den Schwimmern dabei). Die gabelförmigen Teile aneinandergelegt, die die anderen nicht bemerken oder zu denen sie zumindest nie etwas gesagt haben, kommen sie beide schnell. Weil sie weiß, dass er bald wieder gehen muss, was ihre Erregung steigert, sie eng und die faltige Haut der Schenkel faltiger und das kleine, rosinengroße Geschlecht feuchter macht. Oder kommt er, weil er das weiß. Aber nicht, um ihr einen Gefallen zu tun, sondern um die Gabel, die ihre Seite bildet, dort, wo sie angefangen hat, sich auseinanderzufalten, ganz in den Mund zu stecken. Sie haben Hunger in diesem Haus, Hunger vor der schiefen Weide, die sich, wenn sie jetzt hinaussehen, in verschiedene Zeitstadien auflöst, jetzt, kurz bevor der Pfleger an die Tür klopft, und der andere wieder geht.

Sie, allein im Zimmer. Der Fernseher flackert, es ist dämmrig, die Weide klebt vor der Scheibe, nichts bewegt sich, nur der Bildschirm, als die durch eine Sommerlandschaft fahrende, weiße Bahn gezeigt wird. Sie fährt so schnell, dass die Türen erst nach Angleichung des Druckes zu öffnen sind. 

Die Zinken ihrer Gabel klicken ineinander.

Eine bunte Schachtel steht auf dem Fensterbrett. Ein  Pfleger, ganz in weiß, bespannt das Bett. 




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Draesner Ulrike [autor]

Ulrike Draesner – ur. 1962; powieściopisarka, poetka, eseistka i tłumaczka. Dorastała w rodzinie bawarsko-śląskiej, żyjącej w Monachium. Studiowała prawo, anglistykę, germanistykę i filozofię na uniwersytetach w Monachium, Salamance i Oksfordzie. W 1993 porzuciła karierę naukową na rzecz pisania. Jest autorką kilku tomików poezji, powieści, szeregu tomów opowiadań i esejów, a także słuchowisk. Przekłada z angielskiego i francuskiego, prowadzi warsztaty pisarskie i wykłady. Za swoją twórczość literacką została wyróżniona licznymi nagrodami. Mieszka w Berlinie i Oksfordzie.