WYDAWCA: STOWARZYSZENIE WILLA DECJUSZA & INSTYTUT KULTURY WILLA DECJUSZA
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Kein Bier für Jesus

Die Krakauer Marienkirche hat zwei Eingänge: einen zum Beten und einem zum Besichtigen. Ich zögere, denn ich ahne, dass hier nur das Beten umsonst ist. Aber so früh wie die Zeiger stehen, habe ich noch kaum was gefrühstückt. Und auf quasi nüchternen Magen mir nicht näher bekannte Wesen höherer Ordnung anzurufen, erscheint mir heikel. Auch mit Behörden kommuniziere ich lieber im Zustand körperlicher Stabilität, da kann ich die Seele außen vor lassen.

Ein Ort wie Krakau, der aufs Mannigfaltigste Ziele anbietet, lässt mich die beneiden, die ohne Zögern den Beteingang betreten. Das mit der inneren Beständigkeit geht ihnen offenbar gehörig am unbedeckten Knie vorbei, jedenfalls im Sinne monotheistischer Spiritualität. Gegen spontane Erleuchtungen tragen sie Sonnenbrillen. Ihre individuellen Monstranzen sind braune Papiertüten aus dem Hard Rock Café gleich daneben. Also schließe ich mich ganz skrupellos ihrer Prozession an.

Sogleich zieht mich die Kirche mit bunter Pracht in den Bann. Farbberauscht bin ich kurz davor, zum Katholizismus zu konvertieren, verwerfe das aber, weil der nicht sonderlich subtile Weihrauchhauch meine Nasenschwellwände aufplustert und dies die Frischluftzufuhr meiner Lungen einschränkt. In den Himmel schafft es man es dagegen nur mit langem Atem.

Viel los ist nicht im Gotteshaus. Die Souvenirbeladenen verlieren sich in den Seitenschiffen. Vereinzelt klemmen echte Gläubige, die Hände gefaltet, in den Bänken. Ich mische mich unter sie, um nicht aufzufallen. Im Chor erkenne ich einen riesigen Altar. Vor ihm herrscht Betriebsamkeit. Absperrungen werden umgestellt, Lampen entzündet. Ich verliere mich in Gedanken, um was ich wen anbeten könnte. Mit einem Mal öffnet sich eine rechte Seitentür, durch die Sommer strömt und vielsprachiges Gemurmel. Einer alttestamentarischen Plage gleich, schwappen die ersten Menschenwogen plappernd und knipsend ins stille Schiff, nahezu magnetisch angezogen von dem Schnitzwerk am Kirchenende. Die Rudelführer stochern unentspannte Regenschirme ins weihevolle Zwielicht. Helfer verkaufen Fotografierlizenzen an die, die nur ein Auge für das digitale Display in ihren Händen haben. Der Druck von außen nimmt nicht ab. Ich versuche mich in Spracherkennung. Touristische Völkerzusammenführung: deutsches Beige, britisches Pepita, italienisches Bunt, französisches Olala, spanisches Olé.

Ein langstieliger Haken schwingt empor und zieht an den bebilderten Holzflügeln des Altars. Ein Ahh! blitzt durch die Menge und löst vielfaches Klicken aus für den quicken Selfie mit der Mutter Gottes. Goldgewandete Segensfiguren, posiert im Moment der ewigen Selbsteinweckung, verpixeln in der Unschärfe der schnellgeschnappten Nachbesichtigung im Kreis der Familie.

Oh Himmel!, denke ich. Alles hoffnungslose Fälle, diese dämlichen Nichthinseher mit ihrer maschinellen Ersatzanschauung! Überraschend bekomme ich Antwort von der Frau neben mir in der Bank. Eine Erscheinung, die ich bislang nicht wahrgenommen habe.

Da kann nicht mal ich was machen, sagt sie lächelnd und offenbart so einen Akzent, der kein polnischer ist, was mich mehr wundert als der Fakt, dass sie mit mir deutsch spricht. Und während ich mich noch frage, ob es Zufall ist, dass ihre Sprache passt, werden meine Hände ganz heiß, sie kribbeln, als liefe etwas durch sie, weiterhin ineinander gefaltet, so fest, ich habe Mühe, die Finger zu entknoten.

Kaum ist meine Rechte frei, greift die Fremde nach ihr. Was für eine sanfte Berührung! Mehr ein Streicheln, als würde ein Tier mir die Hand geben. So zart der Griff wirkt, so energisch ist das in ihm steckende Verlangen. Das Lächeln auf den Lippen der Fremden beruhigt mich wundersam. So lasse ich mich von ihr zu der Tür führen, durch die noch immer Grüppchen strömen, meistens angeführt von Schirmhaltern.

Margaretha, sagt sie als wir uns im Sonnenlicht unter die Menschen mischen. Aber die Gläubigen beten mich an als Rita. Das kannst du gerne auch tun.

Ritas Alter ist schwer zu schätzen. Sie trägt ein gräuliches, unförmiges Kleid aus grobem Stoff, eher einen Kittel, der ihr zeltgleich von den Schultern fällt.

Wir überqueren den Rynek Główny. Wo gehn wir hin?, frage ich mit wohl noch weihrauchbedingter Kurzatmigkeit. Mangelnde Zielstrebigkeit kann man der mich Ziehenden nicht vorwerfen. Zurück, sagt sie knapp. Und ich merke an, dass ich aus entgegengesetzter Richtung gekommen bin, worauf Rita nicht reagiert.

Den Touristen und Tauben bleibt keine Wahl als uns auszuweichen. Allein der bronzene Adam Mickiewicz, Krakaus Nationalpoet, ignoriert uns mit stolzem Gesicht. Im Blick einer Blumenverkäuferin blitzt mir Belustigung entgegen. Wenige zehn Meter Zeit bleiben für verlorengehende Gedanken, bis wir die schattigen Arkaden der Tuchhallen erreichen und mit ihnen eine unscheinbare Tür, die meine Führerin mit leichtem Klinkendruck öffnet. Sodann geht es - Vorsicht Stufen! – gewendelt hinab. Trotz Funzellicht vertritt sich keiner meiner Schritte.

Hinter einer weiteren Tür ist es taghell, die Luft aber schneidend. Holzfeuerqualm greift meine Augen an, schmutzstarrer Muff füllt meine Nase. Überall Menschen in bizarren Lumpenkostümen, unverständliches Stimmgewirr. Links und rechts Verkaufsstände, lebendige Hühner zwischen den Beinen. Nicht weit entfernt meckert eine Ziege.

Wo sind wir? Was soll das sein?, frage ich Rita, als ein ungeahnter Stopp mich gegen ihren Rücken rempeln lässt.

Achte nicht weiter drauf, zischt sie. Das sei bloß ein Teil längst überholter Vergangenheit. Im Grunde seien wir zu tief gelangt, aber der direkte Zugang werde seit ein paar Jahren durch ein gegenwärtiges Museum versperrt.

Und so geht es dann auch, nachdem wir zunächst – noch tiefer dringend – ein archaisch anmutendes Bestattungsritual passiert haben, auf einer grob behauenen Leiter wieder höher. Rita gewährt mir den Vortritt, und ich bin um Gleichgewicht bemüht, zumal im Verstehen des Geschehens. Was die mit einem anstellen, bloß weil man sich über ignorante Touristen beschwert! Im Grunde bin auch ich ein Tourist, nur blieb ein derartiger Stadtspaziergang durch die Zeiten im Reiseführer unerwähnt.

Der von mir erreichte Raum ist klein. Als meine Augen sich an die in ihm vorherrschende Dunkelheit gewöhnt haben, glaube ich, ein Schimmern läge in der muffigen Luft, die mich sogleich zum Husten reizt. Vergeblich warte ich auf Rita, muss aber feststellen, dass die Luke, aus der ich gestiegen kam, verschwunden ist. Kurz erwäge ich, in Panik zu verfallen, was sich noch steigert, als ich eine harte Hand auf meiner Schulter gewahre.

Fürchte dich nicht!, verlangt eine zum Fürchten tiefe Stimme. Sogleich erblicke ich über mir ein müde wirkendes Männergesicht, dunkel umwachsen von gleichmäßig gelocktem, dicken Haar. Sein Bart fällt ihm bis auf die Brust, allein die Oberlippe glänzt glatt. Glanz birgt auch sein schlicht geschnittenes Gewand, so schmutzig es ist. Unterhalb der Staubschicht scheint es aus purem Gold gewirkt zu sein.

Verzeih der Holden, spricht er mit tiefem Bass, in dem eine östliche Melodie mitschwingt. Die gute Rita ist immer am Schaffen. Nicht nur, dass ihr die hoffnungslosen Fälle obliegen. Zudem sei sie, so fährt er fort, für Examensnöte und Wurstverkäufer zuständig. Ohne Rita würden Marek und Tadeusz gewiss nicht mehr den Grzegórzeckimarkt erreichen, so alt wie sie sind und dann noch mit ihrem klapprigen Gefährt. Aber die Leute brauchen doch ihre Wurst!, sagt er. So eine gute findest du sonst nirgends in der Stadt.

Als ob du das beurteilen könntest, alter Holzkopf! Aus dem Dunkel des Raums schält sich eine zweite Gestalt, eine Frau. Auch sie ist größer als ich, auch sie wirkt verstaubt und erschöpft. Das braune Haar mit einem gleichfarbigen Band gebändigt, trägt sie ebenfalls Gold.

Wenn ich nicht eben noch der Öffnung des Marienaltars beigewohnt und gesehen hätte, dass er komplett ist, würde ich glauben, zwei seiner Hauptfiguren getroffen zu haben. Was neben jeder Unwahrscheinlichkeit auch recht albern anmutet. Sie darauf anzusprechen wäre es allemal. Also frage ich, nach einer weiteren Hustenattacke, ausgelöst vom Staub aus dem Faltenwurf der Frau, so beiläufig wie möglich, wo ich mich überhaupt befinde.

Dies, mein Sohn, ist ein Zwischenraum, sagt der Bärtige. Wir warten alle auf bessere Zeiten, in denen wir wieder korrekt montiert sind. Alle? denke ich gerade, da weist er mit einer Geste auf weitere goldgewandete Gestalten, die trüb an den Seiten verharren.

In den braunen Jahren hat man uns brüsk auseinandergerissen und nach Nürnberg verschleppt. Die Frau seufzt. Unser Schöpfer kommt von dort.

Natürlich derjenige, unterbricht sie die Bärtige, der dem Allmächtigen seine Hände lieh. Aber wir sind – er hebt die Arme – Krakauer. Lange Zeit glaubten wir, alle Hoffnung sei verloren.

Man würde meinen, dem ist auch so. Sieh uns nur an! Die Augen der Frau lassen mich allein in diese schauen. Wir haben sehr gelitten in Nürnberg, sechs lange Jahre, gestopft in Kisten, abgestellt im Bunker. Diese deutsche Feuchtigkeit geht gehörig auf die Knochen, das sage ich dir!

Rita hört nicht auf, uns zu versichern, dass alles wieder gut wird, sagt der Bärtige. Und jetzt schickt sie dich! Kannst Du uns was berichten?

Ja ja, sage ich eingeschüchtert, Rita hat Recht. Ihr werdet wieder in aller Pracht zusammenstehen und die Menschen reisen von allher an, um …

Mein Zögern wird vom Bärtigen genutzt, einzuhaken. Siehst du Maria: Sie kommen, um uns, um dich anzubeten.

Ist das wahr?, will sie wissen. Und ihr hoffnungsvoller Blick, dem ich alles vorlöge, ganz egal, ob es der der Mutter Gottes ist oder nicht, lässt mich nicken. Immerhin habe ich nicht Falsches gesagt. Und was ist schon ein Gebet gegen das Blitzen eines Smartphones?

Wie zur Strafe für kleine Sünden, muss ich erneut husten.

Ist aber auch staubig hier, sagt der Bärtige.

Ein Schluck irgendwas wäre gut, gebe ich zu.

Maria macht auf fürsorglich. Wonach ist dir denn?

Ach, wenn ihr mich so fragt, dann hätte ich gern ein Bier.

Bier, oje! Der Bärtige klatscht in die Hände. Noch so einer. Sowas haben wir nicht.

Aber Krakau ist doch eine Bierstadt!, werfe ich ein.

Eigentlich sind wir ja von woanders her.

Wir sollten ihn zu Herzog Leszek schicken, sagt Maria.

Mit Leszek Biały wollten wir nichts mehr zu tun haben! Der Bärtige zeigt sich genervt.

Ja, ich weiß, aber in diesem Fall könnten wir mal eine Ausnahme machen. Maria setzt ihren heiligen Blick auf. Der Junge hat uns so viel Hoffnung gemacht.

Na, im Grunde war das doch Rita …

Ach komm, Paulus.

Also gut, seufzt der und zeigt ins Dunkel. Dort die Tür und dann nach unten in noch fernere Zeiten. Da sitzt Leszek der Erste und Einzige. Er wird sich über deinen Besuch gewiss freuen.

Womit Paulus goldrichtig liegt. Leszek sitzt in einem von Fackeln beleuchteten Saal am Kopf eines langen Eichenholztisches, auf dem es in unzähligen Krügen schäumt, und springt erfreut auf, als ich ans andere Ende trete. Komm und sei mein Gast!, ruft er. Trink mit mir, die anderen sind alle fort.

Wohin denn?, ich lasse mich auf einen Lehnstuhl fallen.

Zum Wohl! Er hebt einen Humpen, ich tue es ihm gleich. Im Heiligen Land! Alle sind im Heiligen Land. Ist mal wieder Kreuzzug.

Und warum bist du … – ich korrigiere mich – seid Ihr noch hier?

Wisst Ihr, Krieg gegen die Ungläubigen, schön und gut, aber, er beugt sich vor, die haben da kein Bier. Wie soll man das denn aushalten?

Zumal es dort sehr warm sein soll, pflichte ich ihm bei und greife den nächsten Krug.

Ja, ruft mein Gegenüber. Kein Wunder, dass der Herr Jesus auf kuriose Gedanken gekommen ist und das Ende der Welt heraufbeschworen hat.

Mit Bier im Keller hätte er es nicht so eilig gehabt.

Leszek lacht. Ihr sagt es! Mich dünkt, Ihr seid ein kluger Mann. Woher stammt Ihr?

Ach, sag ich, das ist einerlei. Ein hoffnungsloser Flecken war‘s, an dem ich eingesammelt wurde, so ziellos irgendwie.

Sei’s drum, sagt Leszek. Ich hielt es allweil für eine Irrung, die Menschen nach der Stätte ihrer Niederkunft zu beurteilen. Zeichnen sie sich doch aus durch die Wahl ihres Zieles.

Und wer einfach dort sitzen bleibt, wo er ist …?

Dünkt mir das glücklichste Wesen des Erdkreises zu sein! Leszek streckt seinen Krug in die Höhe.

Ich tue es ihm gleich und ahne, das wird nicht das letzte Mal sein.

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Bock Thilo [autor]