WYDAWCA: STOWARZYSZENIE WILLA DECJUSZA & INSTYTUT KULTURY WILLA DECJUSZA
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Life of a Stranger blau-gelb

Es würde dein letztes Bild sein, hatte Theres beschlossen. Das in Gelb-blau. In dem gelb-blauen Hemd. Blauer Himmel, gelbe Felder. Auf dem Fotos war deutlich zu sehen, dass die Häuser Narben hatten und ihnen Organe fehlten. Die Kuppel einer Kirche glänzte golden in einen blassblauen Himmel hinein, während näher am Boden die Straßen nur noch aufgekratzte Wunden waren. Das Video, das nach dem Bild kam, würde Theres nicht mehr online stellen. Der wackelige Lauf. Majdan, nennen sie es. Der wackelige Lauf vorbei an Snowboards, die andere als Schilde verwenden, wie ein Science-Fiction Film. Vielleicht auch Fantasy-Mistgabeln und Katapulte, verschwommen und verraucht. Auf jeden Fall nicht echt. Nichts, was zu dem passen würde, was Theres bis jetzt über dich geschrieben hat. Stefan würde es vielleicht witzig finden. Du bist sicher siebenhundert Meter weit gerannt, bevor man dich mit Gummiknüppeln zurückgeprügelt hat. Theres schloss das Fenster am Bildschirm, sie würde den Weblog löschen müssen. Sie erträgt deine Bilder nicht mehr.

 

„Das ist passiert, weil du's herausgefordert hast“, grinste Stefan in sein Glas. Theres war zornig, zornig auf ihn diesmal. „Schau mal“, redete er weiter, „wenn du mit der Einstellung hinfährst, dass dir sicher etwas geklaut wird, wird dir auch etwas geklaut. Und während du besoffen durch die Gegend torkelst, dein Zeug irgendwo liegen zu lassen“ – er machte eine theatralische Pause – „selber schuld, sag ich da nur.“ Er nahm einen kräftigen Schluck, die Blätter im Gastgarten raschelten. Theres versuchte, ihn giftig anzusehen, aber er sah nicht zu ihr hin, da piepte ihr Telefon laut. Das Smartphone in ihrer Hand mag nun nicht neu gewesen sein, sondern ein älteres Modell, aber es erfüllte die meisten Zwecke ihres eben erst gestohlenen. Sie sprang aus dem Sessel hoch: „Ich glaub es nicht, jetzt schreibt mir der Arsch auch noch! Er hat mich auf Facebook kontaktiert, sieh doch! Stas aus Kiev. 'Hi there!', hi there?“ „Er muss dich gefunden haben, weil du ja auch Facebook auf dem Smartphone hattest. Falls er es eben ist. Du kannst ja nicht sicher wissen, dass er es ist“, murmelte Stefan. Theres schüttelte den Kopf: „Langsam reicht es, er hat auch meine Cloud-Funktion nicht ausgeschaltet. Gestern war ein Foto von ihm, von genau dem Typen“, sie hielt Stefan das Display hin, „in meinem Cloud-Ordner. Vor einem blöden Springbrunnen. Hochgeladen aus Kiev.“ „Wie ist das genau passiert? Der Diebstahl?“ Und Theres erzählte, erzählte von Neuem, dass es sich um den letzten Abend des Kievtrips gehandelt hatte, und sie waren in diesem Club gewesen, sie und die anderen Mädchen, und ihr war schlecht gewesen und sie war nach draußen gegangen, und die Handtasche lag noch auf dem Tisch wie die anderen Handtaschen, und das erste, was sie getan hatte, als sie zurück war von der Reise, war ein neues Telefon zu beschaffen. Stefan nickte: „Du weißt, was du jetzt machst?“ Theres schüttelte den Kopf. „Du nimmst sein Foto, stellst es ins Internet, meldest ein Blog an und kommentierst es. Soll nur jeder sehen dürfen, dass das das Arschloch ist, das dein Smartphone gestohlen hat.“ Er nahm ihr das Telefon aus der Hand, „Ich mach dir ein Blog auf“; er fragte sie nach einem Passwort, reichte es ihr zurück. Die Seite hieß „Life of a stranger who stole my phone“. Sie musste nur noch das Foto mit dem Springbrunnen hochladen. „That's Stas, Stas who stole my phone, Stas, posing the shit out of the fountain“, kommentierte sie. Wenn sie englisch schrieb, würden es mehr Menschen lesen können. „Fühlst du dich besser?“, fragte Stefan und Theres schüttelte den Kopf, obwohl sie sich besser fühlte. Sie wollte Stefan den Triumph nicht so offensichtlich gönnen, aber er grinste, vermutlich wusste er, dass es ihr gefiel, ihren, ja ihren, Dieb bloßzustellen. Wie dumm der auch noch sein musste, dachte sie, ihr auf Facebook zu schreiben. Wahrscheinlich wollte er sie angraben, dreist, wenn sie es bedachte. Für ein Schengenvisum oder so, typisch Ukrainer. Dreist ohne Ende. Und naiv.

 

Da war schwarzer Rauch und sonst nichts auf einer Fotografie. Leute mit Schweißerbrillen und Bauarbeiterhelmen und Gasmasken auf der nächsten. Ein Video, alle rennen, rhythmisches Schlagen von Stöcken auf Mülltonnen. Ein wartender Molotovcocktail in deiner Hand. Du siehst traurig aus. Du siehst aus, als hättest du Angst und wüsstest genau, wovor. Mauern aus Eis und Schnee. Ein Kiosk. Theres kennt den Kiosk. Er war zu deinem Schild geworden, gegen die Gasgranaten. Du stehst neben kopflosen Schaufensterpuppen. Ihre Markenkleidung aufgeschlitzt von Glassplittern. Ein Bild mit Männern in schwarzen Uniformen. Gelb-blaue Flaggen im Hintergrund. Vielleicht bist du noch dreihundert Meter weit gerannt, bevor man dich verhaftet und bei minus zwanzig Grad nackt und gefesselt in einem Wald hat liegen lassen. Theres schluckte. Brennende Autoreifen, davor jemand mit einem Klavier, und Leute, die Tee ausschenken. Eine Frau mit einem Schild, Theres tippte die kyrillischen Buchstaben in das Onlineübersetzungsfeld: „Heirate Berkut-Mann, der auf unsere Seite wechselt.“ Stefan hatte Recht, es ging sie nichts an. Sie würde auch ihren Cloud-Ordner löschen müssen, damit sie dich nicht mehr sehen muss.

 

Ja, ein Dummkopf, dachte Theres, als sie das nächste Foto hochlud: Stas mit Freunden vor einem Kiosk, daneben Geschäfte und ein Hauseingang. Sie trinken eine dampfende Flüssigkeit aus kleinen Kunststofftassen, lachen in die Kamera. Einer trägt eine Flagge als Umhang. Auch gelb-blau. „Hey there, partypeople“, schrieb Theres „Me and my rebyata are clubbing, come along to our exclusive clubhouse with the most special booze – spirt. The stuff that makes you stupid and happy.“ Theres lachte, postete es. Der nächste Abend, das nächste Foto, Stas, wie er einen Freund grob auf die Wange küsste: „There's no gay ukrainian, but we are totally gonna get married.“ Partyfotos, das wusste Theres aus Erfahrung, waren schließlich immer peinlich. Sie stellte auch das Video, das sich automatisch in ihre Cloud hochgeladen hatte, in den Blog: Ein Kakerlak, der durch ein Badezimmer irrt. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es ein Kakerlak war, bevor Stefan sie nicht darüber aufgeklärt hatte: „Na, du warst doch in Kiev. Und weißt nicht, wie ein Kakerlak aussieht?!“ Er hatte gelacht. Danach: Ein Bild, wie Stas mit einem seiner Freunde Hemden zerschneidet. Ein blaues und ein gelbes, und wie ungeschickt sie sich anzustellen scheinen, die Hälften in der Mitte zusammenzunähen. Einer ist links blau und rechts gelb, der andere umgekehrt. Ein weiteres Foto aus dem selben Badezimmer: „It's selfie-time, ain't I sexy.“ schrieb sie zu den Selbstportaits von Stas. Fashionable hätte sie es nicht eben genannt. Auf dem nächsten Bild tragen sie Motorradhelme zu ihrem neu geschneiderten Outfit. „My mummy doesn't let me go out without it.“ „Hilarious“, kommentierte jemand. Sie hatte bereits Leser. Scheiß Nationalist, dachte Theres, mit der aufgemalten Flagge herumrennen! „Vielleicht geht er zu einem Fußballspiel“, meinte Stefan, wieder saßen sie in dem Gastgarten, obwohl es eigentlich schon zu kalt war. Bereits seit einer Woche stellte sie ins Netz, was aus Kiev in ihrer Cloud landete. Hätte Stas, so ein Volltrottel, dachte Theres, die Cloud-Funktion deaktiviert, würde sie gar nichts bekommen. Aber er hatte wohl das kleine Symbol oben am Display übersehen. Geschah ihm schon recht, dass sie ihn öffentlich verspottete.

Noch ein Bild in ihrem Ordner, ein neues, Theres öffnete es sofort. Ein Foto von Stas Oberschenkelinnenseite. Blutige Kratzer mit einem Bastelmesser hineingeschnitten. „So ein schwachsinniger Emo!“ rief Marina, Theres hielt Stefan das Bild hin. „Ist das nicht sein Name? Die ersten Buchstaben, das heißt doch Stanislav? Das sind kyrillische Buchstaben“, sagte Marina. Stefan grinste, dass der gute Stas sicher eine ganz spezielle Krankheit habe, ein Ego-Problem, und sich deshalb den Namen, in den Oberschenkel kratzt. „I'm so emo, why won't anybody hug me.“ Das schreibst du jetzt, sagte er zu Theres. „Was, wenn er wirkliche Probleme hat?“, fragte Theres, aber Stefan wehrte ab: „Dann hat er trotzdem noch dein Handy geklaut. Das interssiert doch niemanden, wenn der Probleme hat.“ Theres schüttelte den Kopf: „Was ist, wenn das wegen den Sachen in Kiev ist? Auf den Zeitungsfotos sieht alles aus wie in Mordor.“ Stefan grunzte: „Mein Gott, das sind halt Russen, das geht uns eigentlich nichts an.“ „Ukrainer, nicht Russen“, korrigierte ihn Marina. Stefan warf eine Zigarette in den Aschenbecher: „Na und, trotzdem anderer Kontinent, das braucht uns doch nicht zu interessieren. Das hier ist Europa.“ Er strich über den Tisch, zuckte mit den Schultern.

 

Du hast keine Bilder mehr hochgeladen, du hast keine Bilder mehr gemacht. „Für die Europäische Union“, stand russisch auf manchen Plakaten. Vielleicht ist das doch irgendwie Europa, denkt Theres. Sie wartet. Sie wartet, was noch kommt. Kann ihr Telefon nicht aus den Augen lassen. Du hast dir deinen Namen auf die Haut geritzt, damit du zu keiner Nummer in einem Leichenschauhaus wirst. Sie bringen dich nicht um, denkst du, du bist nicht wichtig genug, du bist kein Journalist. Die Kälte lässt dir die Zehen taub werden, solange du nicht rennst. Vielleicht schaffst du noch fünfzig Meter, bevor du zu glitzerndem rotem Nebel zerfällst. Theres postet nicht mehr. In ihrem Cloud-Ordner sind keine Bilder mehr von dir. Sie kontrolliert ihn jeden Tag. Mehrfach. Das ist nur das Leben eines Fremden, muss sie sich sagen. Immer wieder. Während sie im Internet nach gelb-blauen Kleidern sucht.

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Simon Cordula [autor]

CORDULA SIMON (1986, Graz (Austria)) - do 2011 roku studiowała filologię niemiecką i rosyjską w Grazu i Odessie. Koordynatorka warsztatów literackich dla młodzieży w Grazu. Członkini grupy literackiej „plattform” miasta Graz. Publikacje: Der potemkinsche Hund (Potiomkinowski pies, powieść), wydawnictwo Picus Verlag, Wiedeń, 2012; Ostrov Mogila (powieść), Picus Verlag, 2013. Nagrody i stypendia (m.in.): I nagroda w konkursie Zeit-Campus Literaturwettbewerb 2009; nagroda czasopisma Manuskripte manuskripte-Förderpreis 2010; stypendium Austriackiego Ministerstwa Oświaty, Sztuki i Kultury bmukk 2011; nagroda promocyjna im. Gustava Reglera przyznawana przez Saarländischer Rundfunk 2011; Rotahorn Literaturpreis 2012; nagroda za udany debiut bmukk 2012. W 2013 roku udział w 27. Dniach Literatury Niemieckojęzycznej w Klagenfurcie. W tym samym roku stypendium Literarisches Colloquium Berlin.