Personen:
Jan Kowalczyk, ein junger Pole
Beata Kowalczyk, seine Mutter
Mariusz Kowalczyk, sein Vater
Jasmin Yilmaz, eine junge Deutsche, Feldwebel der Bundeswehr
Aslan Yilmaz, ihr Vater
Helga Yilmaz-Moosbacher, ihre Mutter
Ort und Zeit:
Polen und Deutschland, 2023
Der folgende Ausschnitt spielt bei Familie Kowalczyk in Polen.
Nur die drei polnischen Figuren kommen vor.
Jan (zum Publikum)
Also ganz von vorn. Alles fing damit an, dass ich meine Eltern mit der Nachricht überraschte, dass ich eine Freundin habe.
Mutter (ekstatisch)
Jan! Mein lieber Junge! Endlich! Gott sei Dank!
Jan (zum Publikum)
Sie waren begeistert.
Mutter
Oh, ich bin begeistert!
Vater
Ja! (stolz) Mein Sohn!
Und wir dachten schon, dass du… naja du weißt schon. Dass du dich nicht für Frauen interessierst.
Mutter
Aber – Tataaa! So ein Glück! Du bist normal!
Jan (zum Publikum)
Ganz wichtig für meine Mutter: Normal sein. Nur nicht auffallen.
Mutter
Nun mach’s nicht so spannend, wie heißt sie denn?
Jan
Sie heißt Jasmin.
V.+M.
Ooooh!
Mutter
Ein wunderschöner Name. Wie Musik.
Vater
Wodka!
Jan (zum Publikum)
Die Begeisterung kannte keine Grenzen. Sie hielt aber nicht lange an.
Mutter (fassungslos)
Eine was?? Eine deutsche Soldatin!?
Vater (beschwichtigend)
Naja, er hat sich halt verliebt, das ist doch was Schönes...
Mutter (scharf)
Mariusz, erzähl du mir nichts von Schönheit, davon verstehst du nichts.
(zu Jan) Erklär mir, wie kommst du an eine deutsche Soldatin??
Jan
Sie ist in Zamosz stationiert, die NATO-Mission der Bundeswehr.
Ich hab sie beim Tanzen getroffen.
Mutter
Erst jahrelang gar nichts und dann das. Die Nachbarschaft wird sich das Maul zerreißen. Stell dir Kaminski vor. Der lacht sich doch ins Fäustchen.
Vater
Den kannst du doch sowieso nicht leiden.
Mutter
Eben. Deshalb will ich nicht, dass er sich ins Fäustchen lacht.
Jan
Kaminski. Unser Nachbar. Ein nationalistisches Arschloch. Meine Mutter hasst ihn.
Nicht weil er Nationalist ist. Das sind viele. Aber Kaminski hat einen Sohn, Tomasz.
Und der war immer erfolgreicher als ich. Bessere Noten, besserer Job, und das
allerschlimmste: Seit zwei Jahren glücklich verheiratet.
Mit der ehemaligen Miss Kleinpolen [Miss Województwa Malopolskiego].
Mutter (zum Vater)
Und deine Eltern. Ich sehe schon das Gesicht deiner Mutter. Mit ihrer überlegenen Nachsicht.
(ihre Schwiegermutter imitierend) „Aaaah? Eine Deutsche? Aber naaain, das macht doch nichts. Jaaaa, es stimmt, sie haben unser Land überfallen. Jaaa, sie haben ein paar Millionen Polen getötet. Aber das ist ja schon so lange her. Schwamm drüber.“
Vater
Eben. „Schwamm drüber“ wird sie sagen.
Mutter
Ja. Aber WIE sie es sagen wird. Sie wird es in einem Ton sagen, der deutlich macht: „Ihr habt als Eltern versagt!“
Vater
Aber das macht sie doch immer.
Mutter
Ja. Aber diesmal hat sie recht.
Vater
Wie bitte?
Mutter
Kaum ist der Krieg zu Ende, wirft sich dein Sohn einer deutschen Soldatin an den Hals.
Da frage ich mich schon: Was habe ich falsch gemacht.
Jan
Mama, der Krieg ist fast 80 Jahre her.
Mutter
Es gibt Dinge, die vergisst man nicht.
Jan
Du hast den Krieg doch gar nicht erlebt.
Mutter
Na und? Ich bin trotzdem traumatisiert.
Mutter (zum Publikum)
Mein Großvater wurde im Krieg verletzt, er hatte bis zu seinem Tod Granatsplitter im Hintern. Er nannte sie: „Meine kleinen Deutschen“. Und jedes mal, wenn er auf dem Klo war, machte er denselben Witz und sagte: „Ich hab meine kleinen Deutschen gestreichelt.“ Wie soll ich jemals mit der Frau meines Sohnes sprechen, ohne an den Hintern meines Großvaters zu denken!?
Vater
Hast du ein Bild von ihr? Zeig doch mal.
(Jan holt ein Foto aus seiner Brieftasche und reicht es seiner Mutter. Die Mutter nimmt es widerwillig, wirft einen kurzen Blick darauf. Sie stutzt. Betrachtet das Bild näher, stirnrunzelnd. Sie schaut auf ihren Sohn, dann wieder auf das Bild)
Mutter (streng)
Mariusz!
(sie gibt das Foto an den Vater weiter. Der nimmt es, betrachtet es wohlwollend und stutzt dann ebenfalls. Er betrachtet es näher und hebt die Augenbrauen)
Vater (auf das Bild zeigend)
Und das ist…?
Mutter
Jan. Was ist das?
Jan
Das ist Jasmin.
Mutter
Mariusz. Sag was.
Vater
Was soll ich denn da sagen. Das ist… also sie ist… also, sie ist hübsch.
Mutter (streng)
Hübsch.
Vater
Naja, hübsch… also sie ist nicht hässlich, das kann man doch wirklich nicht sagen.
Sie sieht gut aus.
Mutter
Und sonst fällt dir nichts dazu ein.
Vater
Ja was denn noch, also gut. Sie sieht ausgesprochen gut aus. Sexy.
Mutter
Sexy??!
Vater
Ja! Sexy! Was schaust du mich so an, du hast mich doch gefragt!
Mutter
Ich habe gesagt „Mariusz, sag was“. Ich habe nicht nach deinen sexuellen Vorlieben gefragt.
Vater
Das stimmt. Danach hast du noch nie gefragt.
Mutter
Mariusz: Was siehst du auf dem Foto!?
Vater
Meinst du den Panzer im Hintergrund...?
Mutter
Nein, ich meine diese Frau.
Vater
Ja was ist denn damit!
Mutter
So sieht doch keine Deutsche aus! Schwarze Haare. Schwarze Augen. Und die Hautfarbe! Die war nicht im Solarium, die ist von Natur aus braun! Du weißt doch wie Deutsche aussehen!
Vater
Ja, wie denn?
Mutter
Na jedenfalls nicht so!!
Jan
Jasmin hat türkische Wurzeln. Ihre Großeltern kamen aus der Türkei.
Mutter
A-ha!! (triumphierend) Flüchtlinge!!
Vater (freudig)
Aber dann ist sie ja gar keine Deutsche. Mit den Türken haben wir doch keinen Ärger gehabt, oder? Ich weiß gar nicht, waren die im Krieg für uns oder für die Nazis?
Mutter
Mariusz, du verstehst gar nichts. Eine Türkin! Die Deutschen sind wenigstens ein Kulturvolk. Die hatten Beethoven. Da kann man noch argumentieren. Und sie sehen zumindest so aus wie wir. Aber Flüchtlinge…
Jan
Jasmin ist kein Flüchtling, sie ist eine Deutsche! In Deutschland geboren. So wie ihre Eltern. Die Familie ist in der dritten Generation in Deutschland.
Mutter (kopfschüttelnd)
Flüchtlinge in dritter Generation...
Jan
Sie spricht nicht mal türkisch! Sie ist ein Fan von Borussia Dortmund!
Vater
Ach, sie interessiert sich für Fußball?
Mutter
Eine deutsche Soldatin, schlimm genug. Aber auch noch eine, die aussieht, wie eine Türkin? Kaminski lacht sich tot.
(zum Vater) Und deine Mutter enterbt dich.
Jan
Mama, ich hab jetzt ein bisschen die Orientierung verloren. Hast du jetzt was gegen Deutsche oder gegen Türken? Oder gegen Flüchtlinge?
Mutter
Ich hab gegen niemanden etwas. Aber es sind halt nicht alle so tolerant wie ich. Und ich könnte mir vorstellen, dass sich Menschen unsicher fühlen in Gegenwart einer Frau, die aussieht, als wäre sie bei AlQaida, und die gleichzeitig Zugang zu schweren Waffen hat.
Jan
Können wir bitte mal den ganzen politischen Kram weglassen, wer wie aussieht und wer wo herkommt? Bitte? Ginge das? Ihr redet nur über Türken und Deutsche und Polen! Reden wir doch mal über Jasmin!
Mutter
Sehr gut. Sehr gern. Reden wir über „Jasmin“.
Jan
Warum sagst du das so, (ihren Ton imitierend) „Jasmin“!?
Mutter
Wie soll ich es denn sonst sagen? „Jasmiiin“… Spreche ich den Namen falsch aus? Tut mir leid, ich kann kein Türkisch.
Jan
Deutsch!
Mutter
Kann ich auch nicht!
Vater
Erzähl uns von Jasmin. Wie ist die so? Erzähl doch mal.
Jan
Jasmin ist ein wunderbarer, gefühlvoller Mensch.
Sie ist intelligent. Sie hat Humor. Sie hat Phantasie.
Mutter
… und sie fährt einen Panzer.
Jan (kopfschüttelnd)
Es ist ja total sinnlos.
Vater
Immerhin hat sie keine Parkplatzprobleme.
Mutter
Du bist geschmacklos.
Vater
Beata, das war ein Witz! Du siehst das alles so furchtbar ernst.
Du musst zugeben, das hat doch auch was Witziges.
Mutter
Dein Sohn macht uns zum Stadtgespräch, und du findest das witzig?
Vater
Jasmin ist sicher ein nettes Mädchen, wir kennen sie doch gar nicht. Wir laden sie mal ein und trinken ein Gläschen, und dann werden wir alle locker.
Mutter (brüllt)
Ich BIN locker!!!
Jan
Jasmin trinkt keinen Alkohol.
Vater
Was? Gar nichts?
Mutter
Hat sie ein Alkoholproblem? Oder ist sie so eine Veganerin?
So eine Öko-Aktivistin? Nur Salat und Wasser, wegen dem Klima?
Jan
Weder noch, sie ist Muslima.
(schockierte Stille)
Vater
Ah.
Mutter
Muslima.
Vater
Na ja, eigentlich logisch, wenn sie eine Türkin ist, also ich meine eine türkische Deutsche...
Mutter (zum Vater)
Dein Sohn hat ein gewisses Talent für Extreme. Immer wenn du denkst: schlimmer kann es nicht kommen – frag Jan. Der findet einen Weg.
Vater
Aber Jan, sag mal, dann wird das ja... problematisch. Mit dem Heiraten. Wenn sie eine Muslima ist, dann kannst du sie ja gar nicht heiraten.
Jan
Wieso nicht?
Vater
Na, du bist Katholik. Wenn sie evangelisch wäre, okay, dann könntest du konvertieren. Aber eine Muslima? Keine Chance. Geht nicht.
Mutter (zwischen den Zähnen)
Mariusz.
Vater (heiter)
Siehst du, Beata, manche Probleme lösen sich von selbst. Er kann sie gar nicht heiraten. Da müsste er ja vorher aus der Kirche austreten.
Mutter
Mariusz, bitte sei einfach still.
Vater
Aber es stimmt doch. Er müsste… er müsste... – du willst aus der Kirche austreten!?
Mutter
Dein Sohn wird Moslem. Er wird sich einen Zottelbart wachsen lassen und in der Stadt Pantoffeln tragen.
Vater
Aber… Jan, aus der Kirche austreten, das ist ja nicht so leicht.
Mutter
Ich kann mir Pfarrer Michalski schon vorstellen. Er wird dich am Sonntag in der Predigt erwähnen, herzlichen Glückwunsch.
Jan
Warum ist euch die Kirche auf einmal so wichtig? Ihr seid doch überhaupt nicht religiös! Ich auch nicht! Ihr habt euch doch immer über die Heuchler aufgeregt, die am Sonntag in die Kirche gehen, und an den anderen sechs Tagen so leben, als gäbe es keine Hölle! Niemand in diesem Raum glaubt doch wirklich ernsthaft, dass es einen Gott gibt!
Mutter
Das ist noch lange kein Grund, aus der Kirche auszutreten!
Jan
Wir waren alle seit Jahren nicht mehr in der Kirche!
Mutter
Na und!?
Jan
Es ist doch egal, ob ich nicht in die Kirche gehe oder nicht in die Moschee!
Mutter
Das ist vielleicht Gott egal! Aber mir nicht! Überleg doch mal! Wie soll das denn ganz praktisch gehen? Familienfeiern. Wann hat sie Namenstag, Hm? Wann ist wohl der Namenstag der heiligen Jasmin? Eben. Und wenn in der Verwandschaft ein Kind geboren wird, kann sie dann Patin werden? Taufpatin? Wohl eher nicht!
Jan
Taufpatin und Namenstag! Wegen so was werde ich nicht auf meine Träume verzichten!
Mutter
Und meine Träume? (weinerlich) Ich hatte gehofft, dass du mal irgendwann heiratest.
Jan
Mama, ich heirate doch.
Mutter
Doch nicht so! Ich meine eine richtige Hochzeit!
Mit einer Braut in Weiß, mit Orgel und Hochzeitsmarsch...
Vater
Deine Mutter meint, man muss die Konsequenzen bedenken... Und da hat sie nicht unrecht. Stell dir vor: Hochzeitsfeier. Was passiert, wenn ich dem Brautvater einen Wodka anbiete? Er lehnt ab! Ist ja Alkohol. Ich, der Vater des Bräutigams, biete ihm einen Schnaps an, und er lehnt ab! Oder Kaminski! Stell dir vor, Kaminski bietet ihm einen Schnaps an.
Mutter
Den laden wir sowieso nicht ein.
Vater
Oder wenn es Braten gibt! Die essen kein Schweinefleisch!
Alle essen sich satt, nur die Familie der Braut sitzt da und kaut Salzstangen!
Mutter
Und wie soll ich ohne Alkohol drei Tage lang deine Mutter ertragen!
Jan
Ich fasse es nicht. Ich will die Liebe meines Lebens heiraten, und ihr redet von Schnaps und Schweinefleisch! Ihr tut so, als wäre die Fähigkeit, sich zu betrinken, eine kulturelle Errungenschaft! Aber das hätte ich mir denken können. Ihr seid einfach hoffnungslos rückständig.
Mutter
Wir sind also rückständig, aha. Hast du das von deiner Deutschen?
Jan
Nein. Da bin ich gerade ganz von allein drauf gekommen.
Mutter
Du findest uns also rückständig.
Jan
Rückständig ist gar kein Ausdruck! Ihr seid der Blinddarm der Moderne!
Vater
Ich brauch jetzt einen Wodka.
Mutter
Jetzt ist es raus. So denkst du über deine Eltern.
Wir sind primitive Katholiken, aber du bist ein Freigeist, du bist ein Rebell! Wir sind rückständige Idioten, aber du heiratest eine Deutsche.
Und nicht irgendeine Deutsche, nein - eine muslimische deutsche Soldatin mit Migrationshintergrund! Eine Mischung aus Sheherazade und Angela Merkel!
Und dann feiert ihr eine deutsch-türkisch-polnische Multikulti- Hochzeit. In der Hauptrolle: Jan, der Befreier. Das strahlende Licht der Vernunft. In den Nebenrollen: die polnischen Bauerntrampel. Und dann könnt ihr euch so richtig schön überlegen fühlen. Das habt ihr euch fein ausgedacht.
Aber daraus wird nichts. Sag deinen deutschen Freunden: Wir freuen uns!
Vater
Genau!
Mutter
Wir empfangen sie mit offenen Armen! Ohne Schnaps!
(zum Vater) Denen werden wir es zeigen!
Wir werden interessiert sein, weltoffen und sympathisch.
Wir werden sie mit unserer Toleranz fertigmachen!