WYDAWCA: STOWARZYSZENIE WILLA DECJUSZA & INSTYTUT KULTURY WILLA DECJUSZA
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die Gedichte

VERBEN

Meine Eltern kauften mir eine Schachtel
Verben, sie kauften mir ein Paar
zusammengebundenen Schuhe, eine
Pelzkappe und einen grauen

Kammgarnmantel mit warmem Kragen
dazu. Die Puppenruhe setzte ein.
Es begann zu schneien. So zog ich
mich in mein Zimmer zurück und

habe sie seither nicht wieder gesehen.
Meine Eltern kochen sich Tee. Sie
schmieren sich Brote, ohne etwas zu
sagen. Sie schauen fern, ohne Ton.

Abwechslend laufen die Krebsstation
und Doktor Schiwago. Meine Eltern
ziehen die Brauen zusammen.
So viel leuchtenden Schnee auf einmal

kann niemad ertragen. Sie halten die
Klappe. Sie lassen das Wasser
fürs Sonntagsbad ein. Meine trockene,
struppige Zahnbürste betrachten

sie ohne Klage. Was ihnen auch in die
Finger gerät, sie wollen es taufen.
Alle zwei Wochen schieben sie mir eine
Handvoll Substantive unter der Tür

herein. Verben sind Eiweiß, Adjektive
sind Zucker, Substantive bilden
das Exoskelett. So lerne ich meine
Vokabeln. Ich zähle Verben. Ich zähle

Lebende. Ich buchstabiere Tote. Ich bin
null Tage alt. Ich bin betagt. Ich bin
ein Winterinsekt. Ich weiß noch nichts
von meiner kommenden Gestalt.

Die Eltern halten sich bedeckt. Selbst
sie können meine Imago nicht
beschreiben. Der Sohn lebt in der Stille,
er lebt im Warmen, er lebt in derben

Insektenbildern. Meine Eltern kauften
mir einen Kammgarnmantel mit
Kragen, eine Pelzkappe, ein Paar
Schuhe und dazu eine Schachtel Verben.

 

IN MEINES VATERS HAUS

In meines Vaters Haus sind viele
Wohnungen. Ich möchte keine
einzige von innen sehn. Parterre
steht man knöcheltief in Marzipan.

Man spürt, dies war die längste Zeit
ein Konichenheim. Man wird mit
abgebrochnen Füßen weitergehn.
Der Läufer auf den Stufen fühlt

sich an – man kanns schwer sagen :
wie ein eingeseifter Labrador,
ein Hüftbruch mit Meerschweinchen
nach Feierabend. Im ersten Stock

greift einem etwas in den Schritt.
Nichts Sichtbares – ein
Temperatursturz, ganz leicht. Hinten
im Gang macht Sylvia Plath sich

jeden Mittag an einen jungen, bleichen
Nazi ran. Im zweiten nur
Etagenbetten, heller Sand. Noch
mehr Etagenbetten. Muschelschalen.

Split. Der Knabenchor singt einen
Kanon, Tag und Nacht. Hinter
der Wand. Hinter der Wand. Hinter
der Wand. Auf halber Treppe ein

Verschlag, Dentallabor. Da lagern
Kettenraucherzähne, täuschend
echt. Im dritten die entmietete
Einkaufmeile, die längste in

der ganzen Stadt. Noch in Betrieb
die Waschanlage für meines Vaters
Wagen, den kleinen Daimler, in
dem Yoko Ono starb. Die beiden

hatten sich gerade frisch verliebt.
Im Dach eine Schnappfalle mit
Belohnungen, für die ein jedes Kind
die rechte Hand hergibt – Muscheln,

Knochen, Zähne, Daimler, Labradore,
Etagenbetten, Meerschweinchen
aus Marzipan. In meines
Vaters Haus sind viele Wohnungen.

 

FARN

Ich lebe dort, wo ich verbreitet bin,
bei meiner Farnverwandtschaft,
die sich auf Trockenfeldern
teils über Liebesnestern schlieβt

und teils seit langem schon zu Torf
geworden ist, also ein Buch,
in unentzifferbarer Schrift verfaβt,
wie jene Fährte, jene Spur eines

fremdartigen Geruch, dem nur die
Hundenase folgen kann. Doch
immerhin ein Buch. Ich schreibe
das mit nassen Füβen, halber Hand

und einem um den Kopf drapierten
Lappen. Von nun an eine andere
Atemtechnik. Ich mache einen
Schritt und komm voran. Ich mache

einen zweiten Schritt und bin schon
da. Ich bin durch Herkünfte
gestapft, der Moorboden bebt,
das Wasser fiept und zischelt,

da ich Binse und Besenheide unter
mir begrabe, dem Hund gleich,
der seine Erinnerung ans Wildsein
auf der Küchenmatte stellt. Ein

Ritual. Ich schreibe dies mit kalten
Händen, schweren Füβen, mit
einem um den Kopf gewickelten
nassen Lappen. Ich habe die kühle

Stirn, ich knipse was an: Wildsein,
Erinnern, der Versuch einer
Schwarztorflektüre – schwarz auf
schwarz. Das bloβe Auge kommt

den Hieroplyphen nicht bei. Fiepen
und Schmatzen. Ich laufe nicht
davon. Ich schreibe dies, um
dich zu grüβen, tief im Adlerfarn,

mit beiden Händen und einem um
den Kopf geschwungenen
Frotteetuch : Saufe den Mond, sauf
ihn doch, wenn du kannst.

 

BAMBI

Der Dichter arbeitet als Reh im
Innendienst. Und Innendienst
bedeutet: man stellt den
Tisch, den Gang, man stellt

das Stiegenhaus, man stellt das
Mezzanin, den Mistraum, man
stellt die Welt mit Blumen
aus den österreichischen Alpen

voll. Von Zeit zu Zeit arbeitet
der Dichter auch mit Moos.
Er blutet nicht. Waldränder
steuert er nicht an. Er fürchtet

sich nicht vor dem Fuchs, nicht
vor dem Marder. Gläserner
Gärtner ist er, und der Tisch
des Blumengastes ist zugleich

der Tisch des Blumenwirts. Der
Dichter schläft als Hoch-
und Mittel- und als Niederwild
im Nebenkeller, wo sich das

eingekochte Obst zu roten Zeilen
fügt. Das Sonnenlicht dringt
niemals bis zum Boden. Da
knistert es. Da klirrts. >>Zurück

zur Rautenklause<<, ruft der Dichter
aus seinem bilderlosen Traum.
Der Hartriegel reibt sich
am Reh, das Reh reibt sich am

Einmachglas, in dichter Reihung
reiben die Einmachgläser
aneinander. Auf jedem Etikett
steht BAMBI, in einer Handschrift,

derart zierlich, derart akkurat —
dem Graphologen gefriert
das Blut in den Adern. So schreibt
ein Mensch nur nach der Tat. So

schreibt kein Reh. Mit Tinte nicht
und nicht mit Moos. Bald ist
hier Schluß. Der Dichter atmet
kaum. Er weiß, daß niemand lügt.

 

DER AMSELPAPST

Ich sah den Amselpapst, man konnte
ihn nicht übersehen, ich
sprach das Stoßgebet, doch es war
schon um mich geschehen. Ich

sah den Amselpapst, er schien am
Fenster sich ganz leise
vor dem Tag zu verneigen. Die
Atemstöße, Amselbeine fuhren

mir heftig ein, die kein Mensch
spüren, hören, sehen darf.
Die Amsel: ein Morgengewand. Die
Amselstimme: eine Blöße.

In meinen Augen Schlaf. Ich sah den
Amselpapst, er kam als
müder, als herrischer, verlebter
Morgenfänger, er sprach mit

jemandem, den ich nicht kannte, mit
seinem Nachbarn, seinem
Feind, mit seinem Diener, seinem
Herrn, mit seiner Kaltmamsell

oder am Ende doch mit mir, seiner
grobhäutiger Gouvernante.
Ich sah den Amselpapst, ich lag
im Bett wie präpariert und hinter

Glas, was hätte ich auch machen
sollen, mir fehlte schlicht
die Contenance. Und die Sonne hing
schief, und vom Fensterbrett

her schielte er nach Resten, und in
seinem Rücken herrschte ein
Licht wie in der Rohfilmindustrie.
Glatt lag sein Gefieder am

faustgroßen Körper. Er rührte sich
nicht. Der Mond ging unter
im Westen wie auf einer schaurigen
Landschaftsphotographie. Ich sah,

er schlief. Er hatte sich vergessen.
Ich sah den Amselpapst.
Der Morgen wurde immer länger. Er
dauert nun bald einen vollen Tag.

 

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Beyer Marcel [autor]

Marcel Beyer | ur. 1965; poeta, powieściopisarz, wydawca, eseista, tłumacz, krytyk literacki i muzyczny. Powieść „Latające psy” (1995), osadzona w realiach narodowego socjalizmu, uczyniła z niego jednego z najważniejszych autorów współczesnych Niemiec i przyniosła mu międzynarodowe uznanie (książkę przełożono na kilkanaście języków). Laureat wielu nagród: Stowarzyszenia Niemieckich Krytyków Literackich (1996), Nagrody im. Jean Paula (2000), Nagrody im. Heinricha Bölla (2001), Nagrody im. Georga Büchnera (2016). Mieszka w Dreźnie.